1923
Entwurf: Georg Muche
Am Horn 61, Weimar
Das Haus Am Horn wurde als Versuchshaus des Bauhauses in Weimar nach einem Entwurf von Georg Muche für die erste Bauhausausstellung 1923 entworfen.
Bauhaus-Ausstellung 1923
Die Ausstellung fand vom 15. August bis 30. September 1923 statt. Eingeleitet wurde sie von der Bauhauswoche, einem kulturellen Ereignis, das großen Anklang fand.
Zur Eröffnung sprach Walter Gropius in einem Vortrag über Kunst und Technik – eine neue Einheit.
Es folgte weitere Vorträge, darunter J. J. P. Oud über die Entwicklung der modernen niederländischen Baukunst.
Das Haus Am Horn wurde gemeinsam mit einer Ausstellung von Beispielen internationaler moderner Architektur aus den Niederlanden, Frankreich, Russland, Deutschland und den USA präsentiert.
Das Haus Am Horn ist der einzige Hochbau, den das Bauhaus in Weimar realisiert hat.
Es sollte mit modularer, kostengünstiger Bauweise und nutzungsorientiertem Grundriss eine Lösung für die anhaltende Wohnungsnot nach den Kriegsjahren bieten.
Erstmals arbeiteten die Abteilungen des Bauhauses werkstattübergreifend, indem gemeinsam geplant, gebaut und ausgestattet wurde.
Bauhaus-Siedlung Am Horn
Bereits in den frühen 1920er Jahren entstanden erste Pläne zur Gründung einer Bauhaus-Siedlung auf dem Gelände Am Horn, östlich der Ilm.
Im Sommer 1919 stellte eine Gruppe von Studenten um Walter Determann erste Entwürfe und Modelle für die Siedlung vor.
Die Siedlung sollte für die Angehörigen des Bauhauses errichten werden, um ihnen Wohnraum zu sichern, die Arbeits- und Lebensgemeinschaft zu fördern und den Bauhaus-Werkstätten Praxisbezug zu verschaffen.
1920 legte Determann konkrete Pläne für die Siedlung auf dem Gelände Am Horn vor: Die geplante Anlage war streng symmetrisch aufgebaut. Sie beinhaltete Wohn-, Werkstatt-, Gemeinschafts- und Sportbauten. Zur Umsetzung der Pläne für eine ganze Siedlung kam es in Weimar nicht, da das Bauhaus 1925 nach Dessau umzog.
Die Bauhaus-Ausstellung 1923 bot die Möglichkeit, zumindest ein einzelnes Versuchshaus zu realisieren.
Entwurf Haus Am Horn
Der Maler und jüngste Bauhaus-Meister Georg Muche lieferte den Entwurf. Die Bauausführung übernahmen Walter March und Adolf Meyer vom Baubüro Walter Gropius.
Das Grundstück mit einer Größe von über 2.000 Quadratmetern liegt an der auch heute noch wenig befahrenen Straße Am Horn. Das Haus schließt sich nicht der Ausrichtung seiner Nachbarhäuser an, sonder steht leicht verdreht zur Straße, um dem Betrachter eine vorteilhafte plastische Perspektive zu vermitteln.
Der Grundriss ist quadratisch mit einer Seitenlänge von 12,70 m und einer Wohnfläche von ungefähr 120 m².
Mittig auf dem Dach sitzt ein quadratischer Aufbau mit zweiseitigen Fensterbändern, der auf die überhöhte Raumhöhe des Wohnzimmers von 4,14 m zurückzuführen ist.
Hinter dem Haus befindet sich ein vierfach geteilter Nutzgarten zur Selbstversorgung der Bewohner.
Finanzierung
Ohne die finanzielle Unterstützung des Berliner Bauunternehmers Adolf Sommerfeld wäre das Versuchshaus Am Horn kaum realisiert worden.
Walter Gropius hatte bereits 1920/1921 in seinem Auftrag das Haus Sommerfeld in Berlin-Lichterfelde entworfen.
Baumaterialien und Isolierung
Mehrere der beauftragten Bauunternehmen arbeiteten zum Selbstkostenpreis und setzten dafür ihre Materialien werbewirksam ein.
Als Baumaterial kam Jurko-Leichtbetonstein zum Einsatz. Ein vorgefertigter Leichtbaustein aus zementgebundenem Schlackebeton, der eine schnelle Bauzeit bei besseren bauphysikalischen Eigenschaften versprach.
Zur Isolierung wurde mit Torfoleum ein weiteres modernes Material eingesetzt.
Die Platten aus industriell aufgearbeitetem Torf, doppelt gesetzt, brachten wesentliche Ersparnisse gegenüber einer Ziegelmauer hinsichtlich Material-, Transport- und Lohnkosten sowie bei der bebauten Fläche und beim Heizungsbedarf. Auch unter dem Estrich des Fußbodens wurde Torfoleum verlegt.
Decken und Putz
Die Decken wurden als Keramikhohlsteindecken mit Stahleinlagen ausgeführt, die Dacheindeckung als mehrlagige Bitumenbahneindeckung.
Verputzt wurde mit einem silbergrauen Terranova-Edelputz, der durch Glimmerpartikel eine changierende Wirkung erzielte.
Fensterbänke und Fenster
Die Fensterbänke waren aus Asbestschiefer-Platten gefertigt.
In Bad und Küche wurden platzsparende Kippfenster mit Kristallspiegelglas eingesetzt.
Die Oberlichter im Wohnraum bestanden aus Mattglas, womit ein weicher Lichteinfall erzielt wurde. Fensterbänder, Fußleisten und Wandverkleidungen in Küche, Bad und Waschnische waren aus weißem, schwarzem und rotem Opakspiegelglas gefertigt.
Fußboden
Als Fußbodenbelag wurden Gummi und Triolin verwendet. Letzteres diente als Ersatz für Linoleum, das mit einer Luxussteuer belegt war.
Heizung und Ausstattung
Im Keller gab es eine Zentralheizungsanlage mit Kohlekessel sowie eine Waschmaschine mit Gasheizung und elektrischem Antrieb.
In Küche und Bad befanden sich Gas-Warmwasserbereiter. Zu den Haushaltsgeräten zählten Staubsauger, Brotröster, Wasserkocher, Kaffeemaschine, Haartrockner, Gasherd, Haustelefon und Fernsprecher.
Einige Einrichtungsgegenstände wie der Gasherd waren als reine Ausstellungsstücke gedacht und sollten nach der Ausstellung zurückgegeben werden, falls sich kein Käufer gefunden hätte.
Innenraumgestaltung und Farbkonzept
Die Raumaufteilung des Hauses folgt dem Prinzip des Wabenbaus, bei dem sich ein großer Hauptraum mit angrenzenden kleinen Räumen umgibt.
Die Hälfte der Nutzfläche nimmt der zentrale Wohnraum in Anspruch, der die Mitte des Grundrisses markiert. Um diesen herum befinden sich die übrigen Zimmer: das Damen- und Herrenzimmerder, das Kinderzimmer, die Arbeitsnische, das Gästezimmer, das Esszimmer sowie Küche und Bad.
Diese Aufteilung machte Flure überflüssig. Das Farbkonzept sah helle Pastelltönen, etwa Gelb, Grün oder Grau vor, die im Kontrast zu akzentuierten kräftigen Farben wie dem rot-blau karierten Fußboden im Esszimmer standen.
Wohnzimmer
Der zentrale Wohnraum ist vier Meter hoch. Licht erhält er durch Mattglasscheiben der Oberlichter an der Süd- und Westseite.
Die Oberlicht-Fenster bestehen aus schmiedeeisernen Fensterrahmen, die das Deckengewicht mit aufnehmen. Eines der Fenster kann durch einen Scherenmechanismus gekippt werden.
Optischer Blickfang im Wohnraum ist ein Teppich von Martha Erps. Die Sitzecke war möbliert mit einem Sofa, einem Tisch und drei Stühlen von Marcel Breuer sowie dem Lattenstuhl ti 1a.
Lichtquelle war eine Stehleuchte von Gyula Pap, deren Steckdose sich in ungefähr einem Meter Höhe auf der Wandfläche befindet.
Den Wohnzimmerschrank entwarf Marcel Breuer.
In der Arbeitsnische befanden sich Schreibtisch und Stuhl entworfen von Marcel Breuer sowie ein Kurbeltelefon. Über dem Schreibtisch hing eine schwenkbare Leuchte von Carl Jakob Jucker.
Einige der Möbel des Hauses sind Original erhalten geblieben und werden aus konservatorischen Gründen im Bauhaus-Museum Weimar ausgestellt. Für die Präsentation im Haus wurden teilweise exakte Repliken angefertigt.
Da einige Möbelstücke nicht mehr existieren werden die Umrisse der Stücke markiert.
Schlafzimmer und Kinderzimmer
Bett, Tisch und Einbauschrank im Herren-Schlafzimmer entwarf Erich Dieckmann.
Verwendete Hölzer waren schwarz gebeizte Eiche und rötlicher Padouk. An den Wänden waren Regalflächen aus Opakglas befestigt.
Lese- und Deckenleuchte entwarf László Moholy-Nagy. Eine in die Wand eingelassene Leseleuchte ist noch im Original erhalten.
Im Zimmer der Dame stammt der Teppichentwurf von Agnes Roghé, die Möbel entwarf Marcel Breuer.
Das Gesellenstück von Marcel Breuer war ebenfalls Bestandteil der Einrichtung: ein Toilettentisch mit zwei beweglichen Spiegeln und einem Stuhl.
In Blickachse zu Speisezimmer und Küche grenzte das Kinderzimmer an das Zimmer der Dame.
Das Kinderzimmer besaß als einziger Raum im Haus einen separaten Zugang zum Garten.
Die Ausstattungsentwürfe gestalteten Alma Buscher und Erich Brendel, den Teppich Benita Otte.
Der Spielschrank mit mobilen Elementen hatte mehrere Funktionen und ließ sich auch als Puppentheater nutzen.
Rote, blaue und gelbe Holztafeln an den Wänden dienten als Malfläche. Ebenfalls im Kinderzimmer befand sich ein Waschtisch mit Warmwasseranschluss.
Speisezimmer und Küche
Die Einrichtung des Speisezimmers bestand aus einem Tisch mit gläserner Platte, vier Stühlen sowie einem Einbauschrank.
Alle Möbel im Speisezimmer entwarf Erich Dieckmann. Sie sind farblich schlicht gehalten, in grauer und schwarzer Beize. Im Kontrast dazu steht der Fußboden aus Gummibelag, der auffällig rot-blau-weiß kariert ist.
Benita Otte und Ernst Gebhardt gestalteten die Küche als Laboratorium der Hausfrau und als eine der ersten Einbauküchen in Deutschland.
Einrichtung und Lichtverhältnisse wurden an die Arbeitsabläufe angepasst. Koch-, Brat- und Grillherd wurde mit Gas betrieben. Die Wandverkleidung ist aus weißem Opakglas gefertigt.
Einrichtungsbestandteil sind die Bogler-Vorratsdosen als Keramikgefäße zur Aufbewahrung von Lebensmitteln. Sie wurden von Theodor Bogler entworfen und in den Steingutfabriken Velten-Vordamm in Serie produziert.
Beteiligung der Bauhaus Werkstätten
Alle Werkstätten des Bauhauses beteiligten sich an Entwurf und Ausführung des Musterhauses.
Die Möbelwerkstatt mit Marcel Breuer (Wohn- und Damenzimmer), Alma Buscher und Erich Brendel (Kinderzimmer), Erich Dieckmann (Speise- und Herrenzimmer) sowie Benita Otte und Ernst Gebhardt (Küche) entwarf die Ausstattung der einzelnen Räume.
Die Metallwerkstatt mit Alma Buscher (Beleuchtung Kinderzimmer), Carl J. Jucker (Schreibtischleuchten), Gyula Pap (Stehleuchte im Wohnraum) und László Moholy-Nagy (Beleuchtung Herrenzimmer) entwarfen die Lampen.
Die Werkstatt für Wandmalerei mit Alfred Arndt und Josef Maltan war für die Ausmalung der Räume zuständig.
Die Werkstatt für Weberei mit Lis Deinhardt (Herrenzimmer), Martha Erps (Wohnzimmer), Benita Otte (Kinderzimmer), Agnes Roghe (Damenzimmer) und Gunta Stölzl (Wohnzimmernische) entwarf und fertigte die Teppiche.
Theodor Bogler und Otto Lindig von der Keramischen Werkstatt entwarfen keramische Gefäße für das Haus.
Grundsteinlegung und Fertigstellung
Am 11. April 1923 erfolgte die Grundsteinlegung, am 15. August 1923 war das Haus bezugsfertig.
Nach der Bauhaus-Ausstellung
Nach der Bauhaus-Ausstellung stand das Haus leer. Es gehörte dem Baufinanzierer Adolf Sommerfeld, der geplant hatte, das Haus mit Gewinn zu verkaufen.
Die Hyperinflation machte einen Verkauf unwahrscheinlich. Sommerfeld versuchte seinen finanziellen Schaden zu minimieren und ließ die gesamte bewegliche Ausstattung zu sich nach Berlin transportieren. Das Haus selbst bot er weiterhin vergeblich zum Kauf an.
Im September 1924 fand das Haus nach mühsamer Suche einen Käufer. Im rückwärtigen Teil des Hauses erfolgte der Anbau einer Veranda und zwei neuer Wohnräume.
Nachkriegsjahre und heutige Nutzung
Spätestens seit 1951 befand sich das Haus im Besitz der Stadt Weimar und wurde bis 1998 von unterschiedlichen Mietern bewohnt. Seit 1973 steht es unter Denkmalschutz.
1996 wurde das Gebäude als Teil von Das Bauhaus und seine Stätten in Weimar, Dessau und Bernau von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Der Freundeskreis der Bauhaus-Universität Weimar pachtete das Anwesen von 1998 bis 2017.
1998/99 erfolgte eine Generalsanierung des Gebäudes bei der die Anbauten entfernt wurden.
2019 übertrug die Stadt Weimar das Haus Am Horn an die Klassik Stiftung Weimar. Das Haus ist öffentlich zugänglich.