1924 – 1928
Architekt: Ernst Otto Oßwald
Eberhardstraße 61, Stuttgart
Der denkmalgeschützte Tagblatt-Turm in Stuttgart wurde in den Jahren 1924 bis 1928 nach Plänen des Architekten Ernst Otto Oßwald in Formen der Neuen Sachlichkeit errichtet.
Hochhaus
Der 18-geschossige, 61 Meter hohe Stahlbetonturm ist eines der wenigen gebauten Beispiele der in der Zeit der Weimarer Republik seit 1920 geführten Hochhausdebatte.
Gemeinsam mit dem 1960 abgerissenen Kaufhaus Schocken von Erich Mendelsohn bildete das Bürohochhaus ein Ensemble des Neuen Bauens in der Innenstadt von Stuttgart.
Carl Esser, der Verleger des Stuttgarter Neuen Tagblattes, wollte auf dem Grundstück in der Innenstadt Stuttgarts in der Eberhardstraße sowohl die Druckerei als auch die Redaktion seiner Zeitung unterbringen.
Mit dem Entwurf beauftragte er den Stuttgarter Architekten Ernst Otto Oßwald.
Das Grundstück in der Eberhardtstraße bot sich durch seine Lage für einen Hochhausbau geradezu an.
Oßwald konnte in diesem Zusammenhang auf die Debatte Hochhäuser für Stuttgart der Architekten Richard Döcker und Hugo Keuerleber von 1921 verweisen.
Entwurf
In städtebaulicher Hinsicht war der Kreuzungspunkt zwischen Eberhard- und Torstraße, an dem sich der Straßenraum weitete und die abknickende Eberhardstraße mittels eines Hochhauses einen eindeutigen Schlusspunkt erhalten würde, der ideale Ort für einen solchen Bautyp.
Der Entwurf des Turms basiert auf einem L-winkeligen Grundriss, der erst im Anschluss an das Gebäude der Torstraße 29 breiter wird und den Hof teilweise überbaut.
Die Geschosse des Turms entwarf Oßwald mit offenem Grundriss und flexibler Raumaufteilung, unterteilt nur durch leichte Glaseinbauten. Lediglich die Position der Treppenhäuser, der Aufzüge (ein Schnellaufzug und ein Paternoster) und der Sanitärräume waren festgelegt.
Das erste Baugesuch wurde am 3. März 1926 eingereicht.
Geplant waren 16 Vollgeschosse mit einer Gesamthöhe von 55,80 Metern.
Stadtbild Stuttgart
Die Bauordnung der Stadt Stuttgart sah zu dieser Zeit für die Torstraße eine maximale Gebäudehöhe von 20 Metern beziehungsweise fünf Vollgeschosse vor.
Dementsprechend schwer tat sich die Stadtverwaltung mit der Genehmigung des Baus.
Der Entscheidungsprozess war ein Ausloten der Möglichkeiten mit dem Blick auf die Weiterentwicklung des Stuttgarter Stadtbilds.
Durch die zunehmende Bebauung der Stuttgarter Hanglagen und der insgesamt höheren Bauweise in der Innenstadt ragten die Kirchtürme und der neue Bahnhofsturm optisch nur noch wenig aus der dichten Dachlandschaft hervor.
Umso mehr wurde die Bedeutung des Tagblatt-Turms als Orientierungspunkt für die Stadt betont.
Ideenwettbewerb
Um ihrer Verantwortung gerecht zu werden, beschritt die Bauabteilung des Stadterweiterungsamtes Stuttgart einen ungewöhnlichen Weg und beauftragte die Architekten Paul Bonatz, Hugo Keuerleber und Heinz Wetzel mit einem Ideenwettbewerb als Gutachten zur Verbesserung und Ergänzung des Osswaldschen Entwurfs.
Eine Sachverständigenkommission kam gemeinsam mit dem Architekten Richard Döcker zu dem Ergebnis, dass keiner der geladenen Architekten dieser Aufgabe gerecht geworden sei.
Um die andauernden Diskussionen über die Gebäudehöhe zu beenden, war der Tagblatt-Verlag im November 1926 bereit, zugunsten einer zügigen Genehmigung auf zwei Geschosse zu verzichten.
Im neuen Entwurf endeten die Vollgeschosse in einer Höhe von 49,30 Metern, die zurückgesetzten Halbgeschosse bei 53,80 Metern.
Der Gemeinderat stimmte in öffentlicher Sitzung nach langen Diskussionen um das Für und Wider von Hochhausbauten mit 33 zu 22 Stimmen zu.
Konstruktion
Am 15. Februar 1927 wurde die Genehmigung für ein Hochhaus in Eisenbeton mit fünfzehn Voll- und zwei Halbgeschossen erteilt.
Als Material für die Außenfassaden wurde eine gestockte Betonoberfläche aus einem Porphyrschotter- und Rheinkiesgemisch vorgeschlagen, wodurch ein heller, warmer Farbton der Oberflächen erzielt werden sollte.
Die Fensterpfeiler waren aus hart gebranntem, hellem Backsteinmauerwerk vorgesehen.
Die veranschlagten Baukosten lagen bei etwa 800.000 Mark.
Der Baugrund erwies sich als Herausforderung: Probebohrungen ergaben in acht Metern Tiefe fließendes, gipshaltiges Grundwasser sowie große Mengen Schlammablagerungen vom ehemaligen Stadtgraben.
Die Bodenbeschaffenheit der einzelnen Bereiche des Grundstücks war so unterschiedlich, dass eine Pfahlgründung geplant werden musste.
Auf einer in elf Metern Tiefe liegenden, tragfähigen Kiesschicht sollten die vorgesehenen Pfähle stehen.
Die eigentlichen Bauarbeiten begannen am 16. April 1927 und nach vier Monaten war die Pfeilergründung bis unter eine 1,50 Meter dicke Eisenbetonbodenplatte fertiggestellt.
Fassade
Im August 1927 wurde ein Nachtragsbaugesuch zur Anbringung der Lichtreklame eingereicht.
Balkone sollten als zweite Rettungswege ab dem achten Obergeschoss angebracht werden.
Wegen der veränderten Fundamente mussten die Fensterpfeiler Lasten tragen und sollten deshalb, statt wie bisher als Mauerwerk geplant, in Eisenbeton ausgeführt werden.
Zur Gliederung der Fassade waren diese Pfeiler aus schwarzgrauem, geschliffenem Eisenbeton mit Basalt und Rheinsand als Zuschlagstoffen geplant.
Im November 1927, als durch den Baufortschritt die Wirkung des Turmes schon erkennbar wurde, beantragte Oßwald die Genehmigung eines weiteren Vollgeschosses und einen höheren Aufbau für die Unterbringung der Aufzugsmaschinen.
Der Fortgang der Bauarbeiten war die beste Werbung und so wurde die Gesamthöhe von 61 Metern genehmigt.
Am 17. März 1928 war der Rohbau fertiggestellt. Gleichzeitig mit dem Betonieren der oberen Geschosse begann in den unteren Etagen schon der Einbau der leichten Glastrennwände, der Installationen und elektrischen Anlagen.
Lichtanlage
Eine Vollendung des Entwurfs bedeutete die Planung der Konturenbeleuchtung, der sogenannten AEG-Moorelichtanlage, die im Mai 1928 genehmigt worden war.
Sie verlieh dem Turm eine spektakuläre Nachtwirkung. Tausende von Neonlampen zeichneten den Verlauf der Gebäudelinien nach und streckten den Turm optisch zusätzlich in die Höhe.
Am 5. November 1928 wurde der Tagblatt-Turm eingeweiht.
Das Gebäude war nach modernsten Maßstäben eingerichtet mit Warmwasserheizung, Doppelfenstern, Müllabwurfschacht und einem Briefabwurfschacht direkt in den Kasten der Reichspost im Foyer.
Nachkriegsjahre und heutige Nutzung
Den Zweiten Weltkrieg überstand der Tagblatt-Turm relativ unbeschadet. Nötige Reparaturarbeiten wurden in der Nachkriegszeit unter der Bauleitung von Ernst Otto Oßwald selbst ausgeführt.
Bis 1976 blieb die Zeitung in den Räumen an der Eberhardstraße, ehe sie in das neue Pressezentrum nach Möhringen zog.
1978 wurde der Turm unter Denkmalschutz gestellt.
Ein Jahr später kaufte die Stadt Stuttgart den Tagblatt-Turm und baute die Räume zum Kulturzentrum „Kultur unterm Turm“ aus.
Seit Mai 2004 nutzen fünf Kultureinrichtungen die Räume der ehemaligen Druckerei und des Turmes: das Zentrum für Figurentheater FITZ, das Theater tri-bühne, Junges Ensemble Stuttgart JES, der Museumspädagogische Dienst mu*pä*di (jetzt kubi-S) der Stadt und die Jugendkunstschule JuKuS.