1967 – 1969
Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky
Franzensgasse 16, Wien, Österreich
1970 bezog die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky ihre Wohnung im sechsten Stock des neu errichteten Wohnhauses in der Franzensgasse in Wien. Hier verbrachte sie die letzten dreißig Jahre ihres Lebens.
Ab 1967 plante sie die Gestaltung der Räume und deren Einrichtung. Auf 55 m² Wohnfläche sind die Bereiche Wohnen, Essen, Arbeiten und Schlafen miteinander verbunden. Die 35 m² große Terrasse ergänzt den Wohnraum um einen begrünten Außenbereich.

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann
Margarete Schütte-Lihotzky
1897 in Wien als Margarete Lihotzky geboren, studierte sie nach einer zweijährigen Ausbildung in Lithographie, Druck und technischem Zeichnen an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien Architektur an der Kunstgewerbeschule bei Oskar Strnad und Heinrich Tessenow. 1918 schloss sie ihr Studium als erste Frau mit dem Diplom ab.
Als erste weibliche Absolventin erhielt sie 1918 ihr Diplom. Nach Tätigkeiten in den Büros von Oskar Strnad und Robert Oerley folgte 1919/20 ein Auslandsaufenthalt in Rotterdam, wo sie die wegweisenden Siedlungsprojekte von J.J.P. Oud kennenlernte.

Margarete Schütte-Lihotzky
Werkbundsiedlung und Gemeindebauten
In der Wiener Werkbundsiedlung ist Schütte-Lihotzky mit einem Haus in der Woinovichgasse 2 und 4 vertreten. In den 1920er Jahren plante Schütte-Lihotzky, die auch mit Adolf Loos zusammenarbeitete, gemeinsam mit anderen den Gemeindebau Otto Haas Hof in der Winarskystraße 16-20 im 20. Bezirk.
Ernst May und Frankfurt
Von 1925 bis 1930 arbeitete sie im Stab von Ernst May im Hochbauamt der Stadt Frankfurt. Unter der Leitung von Eugen Kaufmann übertrug sie in der Typenabteilung die Rationalisierungsideen der Hauwirtschaft auf den Wohnungsbau.
Frankfurter Küche
Pragmatisch und ästhetisch wegweisend wurde die von Lihotzky entworfene Frankfurter Küche, die zwischen 1926 und 1930 in rund 10.000 Wohnungen eingebaut wurde.
1927 begann Lihotzky, Vorträge über die Vorzüge der praktischen Arbeitsküche zu halten und ihre Entwürfe in Fachzeitschriften zu veröffentlichen.
Heim und Technik München 1928
1928 präsentierte sie auf der Münchner Ausstellung Heim und Technik zusammen mit Entwürfen der Architektinnen Gretel Norkauer und Katt Both einen ihrer Typenentwürfe für ‚Die Wohnung der berufstätigen Frau‘. Der zwanzig Quadratmeter große Wohnraum war komplett mit flexiblen Möbeln ausgestattet. Sanitär- und Küchenbereich waren in kleine Nischen integriert. Ein kleiner Balkon erweiterte den Wohnraum, der durch die klapp- und verstellbaren Möbel und die breite Fensterfront vergleichsweise großzügig wirkte.
‚Allen Hausfrauen müssen die neuen Grundsätze der Heimgestaltung und Haushaltsführung gezeigt werden. Deshalb ist auch die Ausstellung Heim und Technik München 1928 für alle bestimmt, für die Hausfrau schlechthin, für die Frau im Doppelberuf, für die alleinstehende berufstätige Frau und nicht zuletzt für die hauswirtschaftliche Lehrerin, die ja die Aufklärung über die vorhandenen Möglichkeiten, die Belehrung über die rationelle Anwendung aller Neuerungen und die Vermittlung von Wissen und Können zu leisten hat.‘ (Luise Kisselbach, Ausstellungskatalog Heim und Technik, München 1928, S. 70-73)
Sowjetunion und Türkei
Im April 1927 heiratete Margarete Lihotzky ihren Frankfurter Kollegen Wilhelm Schütte, der in der Abteilung für Schulbau tätig war. Im Oktober 1930 brach die Gruppe um Ernst May mit Margarete Schütte-Lihotzky als eines der ersten großen westeuropäischen Baukommandos in die Sowjetunion auf. In Sibirien waren sechs Städte geplant, Schütte-Lihotzky übernahm die Bauleitung für alle Kindereinrichtungen, Kindergärten, Krippen und Erziehungsanstalten und leitete eine Abteilung mit insgesamt dreißig Mitarbeitern. Nach Auflösung der Abteilung 1933 blieb Schütte-Lihotzky mit ihrem Mann bis 1937 in Moskau, wo sie weitere Kindergärten plante.
Auf Einladung von Bruno Taut kamen sie nach Istanbul, wo Schütte-Lihotzky neben ihrer Tätigkeit im Büro Taut als Kurierin zwischen der österreichischen Widerstandsgruppe in der Türkei und der KPÖ in Österreich arbeitete. 1941 wurde sie in Wien verhaftet und im bayerischen Aichach zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt. Nach dem Krieg war Schütte-Lihotzky als Dozentin und Referentin tätig. Sie starb im Januar 2000 in Wien.
Die Wohnung
Margarete Schütte-Lihotzky hat für jeden Raum der Wohnung detaillierte Pläne mit Grundrissen und Wandansichten angefertigt. Die sorgfältige Gestaltung der Raumstrukturen, die Linienführung durch Holzleisten und die unterschiedlichen Wandbehandlungen schaffen eine gediegene Atmosphäre. Ein besonderer Raumabschluss und Blickfang ist der kirgisische Wandbehang in der Schlaf- und Lesenische.
Die Architektin dachte daran, dass sie im Alter auf eine Betreuungsperson angewiesen sein könnte. Deshalb organisierte sie selbst die Vermietung der direkt angrenzenden kleinen Wohnung. Dort wohnten meist Studierende, mit denen sie regelmäßigen Kontakt hatte.

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann
Die Küche
Im Zuge der Planung der Ausstattung ihrer neuen Wohnung in den Jahren 1967 bis 1969 entstand auch die Konzeption der eigenen Küche der Architektin, die sie zu Lebzeiten nutzte.
Nach dem Tod von Margarete Schütte-Lihotzky im Jahr 2000 übernahm die Nachmieterin die Wohnung und erneuerte die Kücheneinrichtung nach ihren Vorstellungen.
Seit Anfang der 1920er Jahre hatte Schütte-Lihotzky zahlreiche Erfahrungen zur Rationalisierung der Hauswirtschaft im Wohnungsbau gesammelt.
Nun übertrug sie die Erkenntnisse auf ihre Bedürfnisse im Alter: ergonomische Arbeitshöhen und Auszüge erleichtern das Arbeiten im Sitzen, die Oberschränke sind in die Wand eingelassen, um Schmutzablagerungen zu vermeiden.
Optimierte Arbeitsabläufe, kurze Wege, Einsparung von Griffen und Schritten sind von größter Bedeutung. In ihrer Küche hat sie die Verbindung zwischen Küche und Essplatz mit Durchreichen realisiert, eine führt in den Raum zum Esstisch, die zweite direkt auf die angrenzende Terrasse.

Küche, Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Küche, Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Küche, Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Küche, Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann

Zeitgenössische Aufnahme der Küche in der Wohnung Schütte-Lihotzky
Rekonstruktion der Küche
Anhand von Originalplänen der Architektin und Fotos aus der Zeit der Nutzung der Küche konnte die Rekonstruktion geplant und umgesetzt werden.
Die Kücheneinrichtung
Die Küchenunterschränke aus beschichteten Platten sind außen grün und innen rot. Die verchromten Griffe von KPM Austria sind original. Die Arbeitsplatte ist weiß beschichtet mit grünen Kanten.
Die rekonstruierte Durchreiche zum Esstisch mit Holzverkleidung und Schiebetür ist auf der Küchenseite schließbar. Die holzverkleidete obere Laufschiene wird von einem Lichtband begleitet.
Das Fenster zur Terrasse ist wieder als originales Glasschiebefenster vom Typ Pierson mit sechs Millimeter VSG-Glas und einem Fensterrahmen aus massivem Mahagoni und originalen Beschlägen ausgeführt.
Ein Unterschrank, bei dem das oberste Brett nach oben geklappt werden kann, war für die Unterbringung einer Brotschneidemaschine vorgesehen.
Kühlschrank und Spüle
Der Kühlschrank ist ein neues Modell. Er erhielt eine Tür mit weiß lackierter Metallverkleidung, die optisch dem früheren Original angepasst wurde.
Die Arbeitsfläche vor dem Fenster kann durch drei darunter liegende Auszüge vergrößert werden, darunter befinden sich noch drei Schubladen.
Der rechte Unterschrank auf der Fensterseite verbirgt hinter der Tür ein weißes Gestell für acht Kunststoffschütten für verschiedene haltbare Lebensmittel.
Die Spüle mit zwei Becken entspricht dem Original. Die mittig darüber angebrachte Wandarmatur hat Flügelgriffe, die vom dänischen Designer Verner Panton entworfen wurden.
Der Schrank unter der Spüle ist mit zwei halbrunden Ablagen für Putzmittel ausgestattet. Daneben ist Platz für den Abfalleimer.
Herd, Fliesen und Bügelbrett
Der Herd, Modell AEG Deluxe 1969, ein Unterbaumodell mit in die Arbeitsplatte integriertem Kochfeld, konnte gebraucht beschafft werden. Leider ist er noch nicht funktionsfähig.
Die Oberschränke haben Fronten mit Lärchenfurnier, die Griffleisten sind mit grünem Schichtstoff 6 cm hoch belegt. Innen sind sie wie die Unterschränke rot beschichtet.
Die Wandfliesen sind japanische Arabeskenfliesen in Florentiner Orange und entsprechen fast den originalen Fliesen von Schütte-Lihotzky, die stärker rot-orange waren.
Das Bügelbrett ist an der Wand neben der Tür befestigt und kann zum Bügeln heruntergeklappt und am Fenstertisch aufgelegt werden.
Renovierung und teilweise Rekonstruktion der Wohnung
Das umfangreiche Archiv der Architektin, das sie im Schrankraum der Wohnung aufbewahrte, wurde nach ihrem Tod als Nachlass an das Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien übergeben.
Margarete Schütte-Lihotzky wünschte, dass die Wohnung von der Kunsthistorikerin Ulrike Jenni übernommen wird, die einige Veränderungen vornehmen ließ.
Nach Ulrike Jennis Tod im Jahr 2020 wurde die Wohnung unter Denkmalschutz gestellt, die Räume und die Ausstattung wurden renoviert und teilweise rekonstruiert.
Alle Wände und Decken wurden untersucht, dabei wurde eine sehr fein abgestimmte Farbgebung und Oberflächenqualität festgestellt. Die Farbtöne Gelb, Grün, Weiß und Grau sowie die Oberflächen wurden in einem aufwendigen Prozess wiederhergestellt.
Bodenbeläge
Die Räume wurden von der Architektin mit quadratischen, richtungslosen Bodenbelägen ausgestattet, die harmonisch miteinander verbunden sind. Das Parkett im Wohnzimmer wurde neu belegt, in den anderen Räumen blieben die ursprünglichen Bodenbeläge erhalten.
Wandbehang
Der kirgisische Wandbehang, den die Architektin in der Schlafnische angebracht hatte, war noch vorhanden. Er befand sich jedoch in einem so fragilen Zustand, dass vor der Wiederanbringung restauratorische Maßnahmen erforderlich waren. Diese Arbeiten wurden von der Textilabteilung der Kunstsammlung und des Archivs der Universität für angewandte Kunst Wien durchgeführt.

Wohnung Schütte-Lihotzky, 1967-1969. Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky. Foto: Daniela Christmann
Margarete-Schütte-Lihotzky-Zentrum
Heute ist die Wohnung als Margarete-Schütte-Lihotzky-Zentrum für die Öffentlichkeit zugänglich.